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Beweislastumkehr auch bei unterlassener Überweisung

Häufig liegt ein Behandlungsfehler darin, dass eine notwendige Untersuchung nicht durchgeführt wird: Die richtige Diagnose wird dann erst sehr viel später gestellt und es stellt sich die Frage, ob der Patient dafür Schadenersatz verlangen kann. Grundsätzlich muss der Patient nicht nur den Behandlungsfehler beweisen, sondern auch den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und seinem Gesundheitsschaden. Das heißt konkret, dass der Patient nachweisen muss,  dass die eingetretenen Krankheitsfolgen verhindert worden wären, wenn die betreffende Untersuchung rechtzeitig durchgeführt worden wäre. Das ist häufig nicht möglich, weil bei vielen Krankheiten nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass sie bei früherer Diagnose sicher erfolgreich behandelt worden wären, auch wenn dies wahrscheinlich ist. Ist ein günstigerer Behandlungsverlauf nur wahrscheinlich reicht dies als Beweis nicht aus.

Für diese Fallgruppe hat der Bundesgerichtshof vor mittlerweile fast zwanzig Jahren die Rechtsfigur des Befunderhebungsfehlers entwickelt: Führt der Arzt eine notwendige Untersuchung des Patienten nicht durch, hätte diese Untersuchung wahrscheinlich zu einem Ergebnis geführt, auf das der Arzt hätte reagieren müssen und ist die ausbleibende Reaktion auf das wahrscheinliche aber fiktive Ergebnis der unterlassenen Untersuchung ein grober Behandlungsfehler, kommt es zu einer Beweislastumkehr zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden. Das Gericht darf dann zu Gunsten des Patienten davon ausgehen, dass der Gesundheitsschaden des Patienten hätte verhindert werden können, es sei denn, der Arzt beweist das Gegenteil. Diese Rechtsprechung ist mit dem Patientenrechtegesetz als § 630 Abs. 5 2. Alt. BGB Gesetz geworden. Nach dem Wortlaut des Gesetzes betrifft dies zunächst nur Untersuchungen, die in der jeweiligen Arztpraxis bzw. im jeweiligen Krankenhaus hätten durchgeführt werden können.

Ob auch nicht durchgeführte Untersuchungen, die der Arzt, der sie hätte veranlassen müssen, gar nicht selbst hätte ausführen können, Befunderhebungsfehler mit der Folge der für den Patienten günstigen Beweislastumkehr sein können, war unklar. Das Oberlandesgericht Koblenz hat in einem Beschluss vom vom 18.06.2015 (Az. 5 U 66/15) die Auffassung vertreten, dass dies der Fall ist. Ein Hausarzt hatte bei seinem Patienten festgestellt, dass der PSA-Wert, ein Marker für Prostatakrebs, kontinuierlich angestiegen war. Wird der Patient in dieser Situation nicht an einen Urologen zur Durchführung weiterer Untersuchungen überwiesen, mit denen sicher abgeklärt werden kann, ob Prostatakrebs vorliegt oder nicht, so kann darin ein Befunderhebungsfehler des Hausarztes liegen, obwohl der Hausarzt diese Untersuchungen selbst gar nicht hätte durchführen können.

Diese vom Oberlandesgericht Koblenz vorgenommene Auslegung des Gesetzes macht es Patienten, bei denen in der arbeitsteilig organisierten ambulanten Behandlung eine notwendige Untersuchung nicht durchgeführt wird, einfacher, Schadenersatzansprüche durchzusetzen.