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Wirtschaftliche Aufklärung beim Zahnarzt

Das Oberlandesgericht Celle hat in einem Urteil vom 30.01.2017 (Az. 1 U 15/16) entschieden, dass ein Zahnarzt seinen Vergütungsanspruch ganz oder teilweise verliert, wenn keine wirtschaftliche Aufklärung erfolgt.
Drei Tage, nachdem der gesetzlich krankenversicherte Patient sich das erste Mal beim Zahnarzt vorgestellt hatte, schlug dieser ihm eine aufwendige Versorgung mit implantatgestütztem Zahnersatz für insgesamt EUR 103.171,67 vor. Dem Patienten wurde ein 57-seitiger Formularsatz vorgelegt, in dem die Behandlung und ihre Kosten erläutert wurden.

Nach Abschluss der Behandlung verweigerte der Patient die Bezahlung der Rechnung. Die Abrechnungsgesellschaft, an die der Zahnarzt die Honorarforderung abgetreten hatte, erhob Klage: Aus den vom Patienten unterschriebenen Schriftstücken ergebe sich, dass er auch über die wirtschaftliche Tragweite des Behandlungsvorschlags des Zahnarztes aufgeklärt worden sei. Der Patient vertrat die Gegenauffassung. Das Gericht hatte ein Gutachten eingeholt, in dem der Sachverständige sich sehr kritisch über den Therapievorschlag des Zahnarztes geäußert hatte: Einem gesetzlich versicherten Patienten drei Tage nach dem ersten Kontakt über einen so teuren Zahnersatz entscheiden zu lassen, sei nicht verständlich. Das gelte umso mehr als es erheblich preisgünstigere Behandlungsalternativen gegeben habe.

Das Landgericht hatte der Abrechnungsgesellschaft in erster Instanz lediglich eine Vergütung in Höhe von EUR 16.788,82 zuerkannt und die Klage im übrigen abgewiesen. Dagegen legten die Abrechnungsgesellschaft und der Zahnarzt Berufung ein. Das Oberlandesgericht Celle sprach dem Zahnarzt eine geringfügig höhere Vergütung zu, im übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen. Der Zahnarzt hätte eine wirtschaftlichen Aufklärung des Patienten durchführen müssen, was er aber nicht getan habe. Deshalb müsse der Patient nur die Kosten bezahlen, die entstanden wären, wenn man ihn korrekt aufgeklärt hätte. Den Einwand des Zahnarztes, der Patient habe doch am Beginn der Behandlung eine Kostenaufstellung erhalten und diese auch unterschrieben, wies das Oberlandesgericht zurück. Die Formulare würden keine ausreichende Aufklärung über die wirtschaftliche Tragweite der Behandlung darstellen. Je weiter sich die Behandlung vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung entferne, desto intensiver müsse der Zahnarzt den Patienten auch über die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung über einen Behandlungsvorschlag aufklären. Ein 57-seitiges Formular könne vom Patienten nicht kurzfristig ausgewertet werden, es stelle daher keine ausreichende wirtschaftliche Aufklärung dar. Das gelte umso mehr, wenn erheblich preisgünstigere Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen. Im Endeffekt sprach das Oberlandesgericht dem Zahnarzt eine Vergütung in Höhe von EUR 18.517,90 zu.

Das Urteil stärkt die Rechte von Patienten in allen Bereichen der Medizin, in denen eine vollständige Kostenübernahme durch die Krankenversicherung nicht erfolgt, sondern der Patient die Kosten ganz oder teilweise selbst tragen muss. Wenn das der Fall ist, muss der Patient nicht nur – wie sonst auch – über die Risiken und Erfolgsaussichten der vorgeschlagenen Behandlung sowie über bestehende Behandlungsalternativen aufgeklärt werden. Die wirtschaftliche Aufklärung dient dem Zweck, den Patienten vorher darüber zu informieren, dass und in welcher Höhe Kosten auf ihn zukommen, damit er eine Entscheidung darüber treffen kann. ob er sich die vorgeschlagene Behandlung leisten kann und will. Diese Pflicht steht steht seit 2013 im Gesetz (§ 630c Abs. 3 BGB): Weiß die behandelnde Person, dass die vollständige Kostenübernahme durch die Krankenversicherung oder einen anderen Kostenträger nicht sicher ist, muss der Patient über die Höhe der möglicherweise von ihm zu tragenden Kosten aufgeklärt werden. Das gilt nach dem Willen des Gesetzgebers auch dann schon, wenn lediglich Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine vollständige Kostenübernahme durch die Krankenversicherung nicht erfolgt. Gibt es keine derartige wirtschaftliche Aufklärung, kann der Patient den vollständigen Ausgleich der Rechnung unter Umständen verweigern. Wenn er nachweisen kann, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung für eine andere, preisgünstigere Behandlung entschieden hätte, muss er lediglich deren Kosten tragen. Wenn die anderweitige Behandlung in vollem Umfang von der  Krankenversicherung bezahlt worden wäre, muss die Rechnung überhaupt nicht bezahlt werden.