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Auch Behandlung zweiter Wahl ist Behandlungsalternative

Das Kammergericht hat sich in seinem Urteil vom 13.03.2017 (Az. 20 U 238/15) mit dem Begriff der Behandlungsalternative auseinandergesetzt und diesen Begriff patientenfreundlich interpretiert. Welche Behandlungsmöglichkeiten eine Behandlungsalternative darstellen, ist in Arzthaftungsfällen deshalb von besonderer Bedeutung, weil der Arzt auch über Behandlungsalternativen aufklären muss (§ 630e Abs. 1 BGB). Im Gesetz heißt es, dass auch auf Alternativen zur vorgeschlagenen Maßnahme hinzuweisen ist, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. Wird gegen diese Verpflichtung verstoßen, lässt sich eine Schadenersatzpflicht unter Umständen auf diesem Weg begründen und durchsetzen.

Die klagende Patientin war ab Juni 2009 im beklagten Krankenhaus in Behandlung. Sie hatte seit einiger Zeit unter Herzrasen gelitten. Die behandelnden Ärzte untersuchten sie nicht nur, sondern führten im Anschluss an eine Herzkatheteruntersuchung eine Katheterablation durch. Bei dieser Behandlungsmaßnahme sollen Herzrhythmusstörungen durch das gezielte Veröden von Herzmuskelgewebe beseitigt werden. Allerdings führte diese Behandlung bei der Klägerin nicht zum gewünschten Erfolg, statt dessen wurden die Rhythmusstörungen schlimmer, so dass die Patientin im Endeffekt einen Herzschrittmacher brauchte.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Zwei Sachverständige hatten keinen Behandlungsfehler finden können. Nach Auffassung des Landgerichts war die Patientin auch ausreichend aufgeklärt worden. Dass Sie nach der Behandlung möglicherweise einen Herzschrittmacher brauchen würde, hatte man ihr gesagt. Die Behandlung der Herzrhythmusstörungen mit Medikamenten sei keine Behandlungsalternative über die hätte aufgeklärt werden müssen. Aber selbst dann, wenn die Patientin darüber aufgeklärt worden wäre, dass auch eine Behandlung mit Medikamenten in Frage gekommen wäre, hätte sie nach Auffassung des Landgerichts in die Katheterablation eingewilligt, weil ein dauerhafter Behandlungserfolg mit Medikamenten nicht zu erzielen ist, wohl aber mit einer erfolgreichen Katehterablation. Deshalb wurde die Klage in erster Instanz zurückgewiesen.

Die Klägerin legte Berufung ein. Das Kammergericht erläutert in seinem Urteil, was unter Behandlungsalternativen zu verstehen ist:

„Dabei ist für die Frage der Aufklärungspflichtigkeit nicht ausschließlich auf den Begriff der ‚Gleichwertigkeit‘ abzustellen. Eine Aufklärung ist auch dann erforderlich, wenn die Behandlungsalternativen zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.“

Diese Überlegung führte dazu, dass die Behandlung mit Medikamenten, die nach Auffassung der Sachverständigen im Falle der Klägerin nur zweite Wahl war, vom Kammergericht sehr wohl als Behandlungsalternative beurteilt wurde: Denn der Nachteil der medikamentösen Behandlung, der darin besteht, dass sie die Ursachen der Herzrhythmusstörungen nicht beseitigt, wird dadurch aufgewogen, dass bei Behandlung mit Medikamenten alle Risiken, die mit einer Behandlung mit dem Herzkatheter bestehen wegfallen. Aus diesem Grund urteilte das Kammergericht, dass die medikamentöse Behandlung, auch wenn sie medizinisch nur als zweite Wahl zu bewerten ist, eine Behandlungsalternative ist, über die hätte aufgeklärt werden müssen. Da dies nicht geschehen war, war die Katheterablation rechtswidrig. Das beklagte Krankenhaus musste die Klägerin für die Folgen entschädigen. Dem Einwand der Beklagten, dass die Patientin auch dann in die Katheterablation eingewilligt hätte, wenn man sie über die Möglichkeit der Behandlung mit Medikamenten hingewiesen hätte, folgte das Kammergericht auch nicht. Die Anhörung der Klägerin führte zur Feststellung eines Entscheidungskonflikts.

In vielen Gerichtsverfahren ergeht es Patienten so wie der Klägerin in der ersten Instanz. Die Gerichte nehmen eine Behandlungsalternative nur an, wenn die andere Behandlungsmethode  medizinisch gleichwertig ist. Dass dies vom Gesetzgeber so nicht gewollt war, lässt sich jetzt auch anhand des Urteils des Kammergerichts belegen.