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So weit die Haftung reicht – OLG Hamm 26 U 37/14

Wie weit reicht die Haftung, wenn man einen Fehler macht? Grundsätzlich sehr weit. Aber gilt das auch, wenn jemand anders später auch noch einen Fehler gemacht hat, für den er ebenfalls haftet? Das OLG Hamm hat sich in einem Urteil vom 15.11.2016 (Az. 26 U 37/14) zu diesen Fragestellungen geäußert.

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die klagende Patientin wurde wegen der durch einen Upside-Down-Magen verursachten Beschwerden im April 2009 im beklagten Q.-Krankenhaus operiert. Einen Monat nach der Operation zeigte eine radiologische Untersuchung, dass sich die Situation nach der Operation kaum gebessert hatte. Die Patientin wurde im Juni 2009 daher im N.-Hospital ein zweites Mal operiert. Auch nach dieser Operation trat keine Besserung ein. Die im April 2010 durchgeführte radiologische Kontrolle zeigte ein zweites Mal, dass der Operationserfolg ausgeblieben war. Die Patientin wurde daher im Mai 2010 im L.-Krankenhaus ein drittes Mal operiert. Nach dieser Operation kam es zu Komplikationen mit mehreren stationären Aufenthalten, die sich bis ins Jahr 2013 hinzogen.

Die Patientin klagte zunächst vor dem Landgericht Bochum gegen den Träger des Q.-Krankenhauses, in dem sie zum ersten Mal operiert worden war. Das Landgericht holte ein Gutachten ein, in dem der Sachverständige zu folgender Bewertung kam: Die radiologische Kontrolle aus dem Mai 2009 beweise, dass die an und für sich notwendige erste Operation im Q.-Krankenhaus nicht korrekt ausgeführt worden sei. Aber auch die zweite Operation sei fehlerhaft durchgeführt worden. Im Grunde genommen sei der Fehler, zu dem es beim ersten Eingriff gekommen war, bei der zweiten Operation wiederholt worden. Dass zweimal der gleiche Fehler gemacht wurde, bezeichnete der Sachverständige bei der Anhörung vor dem Landgericht als völlig unverständlich. Im Normalfall haftet der Schädiger für alle Folgen seiner Handlung, auch dann, wenn es im weiteren Verlauf zu einer weiteren schädigenden Handlung, für die ein anderer haftbar gemacht werden kann, gekommen ist. Von diesem Grundsatz gibt es aber Ausnahmen. Für den Bereich der Arzthaftung hat der Bundesgerichtshof erstmals 1988 geurteilt, dass dieser Grundsatz in den Fällen nicht gelte, in denen der zweite Arzt alle zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen habe und derart schwerwiegend gegen die Behandlungsregeln verstoßen habe, dass die Folgen seines Fehlers bei wertender Betrachtung allein ihm zuzuordnen sei (Urteil vom 20.09.1988, Az. VI ZR 37/88; Urteil vom 22.05.2012, Az. VI ZR 157/11). Das Landgericht sah diesen Ausnahmefall aufgrund der Bewertung durch den Sachverständigen als gegeben an und kam zu dem Ergebnis, dass die Patientin vom Träger des Q.-Krankenhauses Schadenersatz nur für die Beschwerden bis zur zweiten Operation verlangen könne. Im übrigen wurde ihre Klage abgewiesen, weil für alle weiteren Beschwerden allein der Träger des N.-Hospitals hafte.

Dagegen legte die Klägerin Berufung ein. Das Oberlandesgericht befragte den Sachverständigen erneut und hörte auch den Arzt an, der die zweite Operation durchgeführt hatte. Danach kam es zu dem Ergebnis, dass es bei der zweiten Operation zwar zu groben Behandlungsfehlern gekommen sei, diese wären aber nicht so ungewöhnlich oder schwerwiegend, dass sie zu einer Unterbrechung des Kausalverlaufs führen würden. Es bleibe daher bei dem Grundsatz, dass der erste Schädiger für alle Folgen seines Fehlers hafte. Dementsprechend sprach das Oberlandesgericht der Patientin Schadenersatz auch für die weiteren Folgen der ersten Operation zu.

Interessant ist das Urteil, weil es die Fallgruppen konkretisiert, in denen nach Auffassung der Richter des OLG Hamm die Reichweite der Haftung begrenzt wird. Danach reicht es nicht aus, wenn der zweite Behandlungsfehler zu einer Abmahnung des behandelnden Arztes geführt hätte. Die Begrenzung der Reichweite der Haftung komme erst zum Tragen, wenn man realistischerweise annehmen könne, dass der Arzt, dem der zweite Behandlungsfehler unterlaufen ist, deshalb seine Stelle oder sogar seine Approbation verloren hätte. Dazu hatte das Oberlandesgericht den Sachverständigen befragt, wie er in der von ihm geleiteten Klinik auf einen derartigen Behandlungsfehler eines dort tätigen Arztes reagiert hätte. Der Sachverständige hatte geantwortet, dass es bei einer internen Abmahnung geblieben wäre.

Diese juristischen Erwägungen haben sehr konkrete Folgen. Das Landgericht hatte der klagenden Patientin ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 8.000,- zugesprochen, weil es davon ausgegangen war, dass das beklagte Krankenhaus nur für einen kleinen Teil des Gesundheitsschadens der Klägerin hafte. Das in zweiter Instanz für alle Beeinträchtigungen zugesprochene Schmerzensgeld betrug dagegen EUR 70.000,-. Die recht konkreten Kriterien, die das OLG Hamm seiner Entscheidung zugrunde legt, machen die Fälle, in denen sich der beklagte Arzt darauf beruft, nur für einen Teil des Schadens zu haften, erheblich besser handhabbar als die bisher in der Rechtsprechung verwendeten abstrakten Kategorien.