Wann die Verjährung arzthaftungsrechtlicher Ansprüche eintritt, ist häufig schwierig zu beurteilen. Gesetzlich ist in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB geregelt, dass die Verjährung erst am Ende des Jahres beginnt, in dem der Gläubiger weiß (oder aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht weiß), dass er einen Anspruch hat. Das heißt konkret, dass der Patient wissen muss, dass der Arzt einen Fehler gemacht hat und dass dieser Fehler die Ursache seiner gesundheitlichen Einschränkungen ist. In der Rechtsprechung der Gerichte ist seit jeher anerkannt, dass bei Schadenersatzansprüchen gegen Ärzte allein aus der Tatsache, dass die Behandlung einen negativen Verlauf genommen hat, nicht darauf geschlossen werden kann, dass der Patient auch weiß, dass er falsch behandelt worden ist. Grund dafür ist, dass ein unerwünschtes Behandlungsergebnis immer auftreten kann, ohne dass der Arzt etwas dafür kann. Der Patient muss also die Tatsachen kennen, aus denen sich ergibt dass ein Behandlungsfehler und keine im Risikospektrum der Behandlung liegende Komplikation vorliegt. Das hat der Bundesgerichtshof bereits 2009 entschieden (Urteil vom 10.11.2009, Az. VI ZR 247/08). Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil vom 08.11.2016 (Az. VI ZR 594/15) bestätigt und präzisiert.
Der BGH hat im Urteil vom 08.11.2016 über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Das Klagende Kind wurde am 22.11.2003 geboren, bei der Geburt kam es zu einer Schulterdystokie, es wurde entschieden, die Geburt operativ zu beenden, seitdem ist ein Arm des Kindes gelähmt. Die Mutter des Kindes hatte im August 2006 für die mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen beauftragten Rechtsanwälte ein Gedächtnisprotokoll verfasst. Darin kritisierte sie die Aufklärung: mit ihr sei weder über die Risiken der operativen Geburtsbeendigung noch über die Möglichkeit, das Kind, dessen Geburtsgewicht 5100g betragen hatte, von vornherein mit Kaiserschnitt zu gebären, gesprochen worden. Die Rechtsanwälte machten die Schadenersatzansprüche aus der Geburt mit Schreiben vom 09.08.2007 geltend und erhoben sowohl den Vorwurf fehlerhafter Behandlung als auch die Aufklärungsrüge. Der Haftpflichtversicherer wies die geltend gemachten Ansprüche am 26.10.2007 zurück, ein Fehlverhalten der behandelnden Ärzte werde dort nicht gesehen. Daran schloss sich noch bis in den Sommer 2008 Schriftwechsel wegen der Herausgabe von Behandlungsunterlagen an.
Die Schadenersatzklage des Kindes ging am 29.10.2010 beim Landgericht ein. Die Beklagten verteidigten sich in allen Instanzen mit dem Argument, mögliche Schadenersatzansprüche des Kindes seien bei Klageerhebung bereits verjährt gewesen. Das OLG Koblenz hat die Beklagten zu Schadenersatz verurteilt und in seinem Urteil die Verjährung verneint: Die Verjährungsfrist sei Ende 2006 in Gang gesetzt worden, weil die Mutter des klagenden Kindes in diesem Jahr die notwendigen Kenntnisse erlangt habe. Das ergebe sich aus ihrem Gedächtnisprotokoll aus dem August 2006. Grundsätzlich wäre damit Verjährung mit Ablauf des 31.12.2009 eingetreten, allerdings wären zwischen den Rechtsanwälten des Kindes und der Haftpflichtversicherung des Krankenhauses für mehr als ein Jahr Verhandlungen geführt worden, wodurch der Lauf der Verjährungsfrist gehemmt worden sei. Die Klage sei daher im Oktober 2010 noch rechtzeitig eingereicht worden.
Dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof aufgehoben und zunächst festgestellt, dass Ansprüche aus fehlerhafter Behandlung und solche aus Aufklärungsversäumnissen zu unterschiedlichen Zeitpunkten verjähren können, weil es für dem Verjährungsbeginn auf unterschiedliche Kenntnisse ankomme. Aus dem Gedächtnisprotokoll der Mutter des Klägers sei abzuleiten, dass sie bereits im Sommer 2006 wusste, dass sie bei der Geburt nicht ausreichend aufgeklärt worden sei. Das reiche aus, um die Verjährungsfrist für die Ansprüche des Kindes aus unzureichender Aufklärung bei seiner Geburt in Gang zu setzen. Entgegen der Annahme des OLG Koblenz hätten aber nur in der Zeit zwischen der Geltendmachung der Ansprüche durch die Rechtsanwälte am 09.08.2007 und der Zurückweisung durch die Haftpflichtversicherung am 26.10.2007 für weniger als drei Monate Verhandlungen geschwebt, die zu einer Hemmung der Verjährung geführt hätten. Der danach geführte Schriftwechsel habe nicht mehr zu einer Verjährungshemmung geführt. Daraus folge, dass Ansprüche des Kindes aus unzureichender Aufklärung der Mutter bei der Geburt bei Klageerhebung bereits verjährt waren.
Anders beurteilt der Bundesgerichtshof die Frage der Verjährung von möglichen Ansprüchen aus Behandlungsfehlern bei der Geburt. Der erste Zeitpunkt, zu dem sicher gesagt werden könnte, dass der Kläger bzw. die für ihn tätigen Personen, also seine Eltern und seine Rechtsanwälte, Kenntnis von einem Behandlungsfehler hatten, sei der August 2007, weil die Rechtsanwälte am 09.08.2007 die Ansprüche des Kindes schriftlich geltend gemacht hatten und mit Behandlungsfehlern begründet hatten. Anders als bei der Aufklärung sei aus dem Gedächtnisprotokoll der Mutter aus dem August 2006 nicht abzuleiten, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits von Behandlungsfehlern wusste. Ebensowenig sei geklärt, ob die Rechtsanwälte bereits im Jahr 2006 von einem Behandlungsfehler wussten oder hätten wissen müssen. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Eltern oder die Rechtsanwälte bereits 2006 über entsprechende Informationen verfügten, seien auch die Ansprüche des Kindes aus Behandlungsfehlern bei der Geburt verjährt. Zur Klärung dieser Frage hat der Bundesgerichtshof das Verfahren zurück an das OLG Koblenz verwiesen.
Über den entschiedenen Fall hinaus kann man aus dem Urteil folgende Schlüsse ziehen:
- Spätestens dann, wenn Ansprüche geltend gemacht und mit dem Vorwurf einer fehlerhaften Behandlung begründet werden, beginnt die Verjährungsfrist zu laufen.
- Bereits dann, wenn der Patient oder seine gesetzlichen Vertreter wissen, dass es zu einem Behandlungsfehler gekommen ist oder dass eine Aufklärungspflicht verletzt worden ist, beginnt der Lauf der jeweiligen Verjährungsfrist. Dabei betont der Bundesgerichtshof allerdings auch, dass es für den Patienten und seinen Rechtsanwalt keine Verpflichtung gibt, dem Verdacht auf einen Behandlungsfehler durch Einholung eines Gutachtens nachzugehen.
- Die verjährungshemmende Wirkung von Verhandlungen endet in dem Augenblick, in dem geltend gemachte Ansprüche zurückgewiesen werden.