Mit der schwierigen Frage, wie Infektionen im Krankenhaus rechtlich zu bewerten sind, hat sich der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 16.08.2016 (Az. VI ZR 634/15) auseinandergesetzt. Der Fall, über den zu entscheiden war, zeigt deutlich, wie schwerwiegend die Folgen einer solchen Infektion sein können. Er zeigt aber auch, wie hoch die Hürden sind, die ein Patient überwinden muss, um Schadenersatz für die Folgen einer im Krankenhaus erworbenen Infektion zu erhalten.
Wegen anhaltender Beschwerden im rechten Ellenbogen wurde der klagende Patient im März 2010 im beklagten Krankenhaus operiert. Nach der Operation lag der Patient nach seinen Angaben mit einem anderen Patienten auf einem Zimmer, der an einer offenen, eitrigen Wunde am Knie litt, die die Ärzte nicht in den Griff bekamen. Etwa sechs Wochen nach der Operation stellte sich der Kläger wieder im Krankenhaus vor, weil das operierte Ellenbogengelenk schmerzhaft und geschwollen war. Da sich Schmerzen und Schwellungen verschlimmerten, wurde der Patient Ende April 2010 ein zweites Mal operiert, die Wunde wurde gesäubert und gespült. Die Beschwerden des Patienten hielten an. Auch eine dritte Operation im Juni 2010 brachte keine Besserung. Die Beweglichkeit des rechten Ellenbogengelenks blieb dauerhaft deutlich eingeschränkt, der Ellenbogen schmerzte in Ruhe und bei Bewegung.
Das Landgericht wies die Klage des Patienten zurück. Er habe nicht beweisen können, dass das Krankenhaus bei der Hygiene einen Fehler gemacht habe. Die dagegen eingelegte Berufung blieb ebenfalls erfolglos. Gegen die Zurückweisung der Berufung legte der Patient Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH ein. Dieser hob das Urteil des Berufungsgerichts auf und verwies das Verfahren an das Oberlandesgericht zurück, nicht ohne die Spielregeln für Schadenersatzprozesse bei Infektionen im Krankenhaus zu präzisieren:
- Eine Absage erteilte der BGH der Rechtsauffassung, wonach bei Infektionen im Krankenhaus der Krankenhausträger beweisen müsse, dass er nichts falsch gemacht habe. Der Bundesgerichtshof begründet dass damit, dass diese Beweislastumkehr nur für sogenannte voll beherrschbare Risiken gelte. Infektionen seien aber nicht voll beherrschbar. Es stehe weder fest, wann noch wie der Kläger sich infiziert habe. Es sei durchaus möglich, dass die Infektion von Keimen auf der Haut des Klägers herrühre, es sei auch nicht gesichert, ob der Kläger sich überhaupt im Krankenhaus infiziert habe. Bei dieser Sachlage könne man nicht von einem voll beherrschbaren Risiko sprechen. Es bleibe daher dabei, dass der Patient nachweisen muss, dass es im Krankenhaus zu einem Fehler gekommen ist.
- Hilfreich für Patienten sind aber die weiteren Ausführungen des BGH: Eigentlich ist es Aufgabe des Patienten, zu erklären und nachzuweisen, worin genau der Hygienefehler, der zur Infektion geführt hat, besteht. Das kann der Patient häufig nicht, weil ganz wesentliche Umstände für die Krankenhaushygiene (Händewaschung, Flächendesinfektion, Wundmanagement) nicht in der Krankenakte dokumentiert werden: Der Patient hat keine Kenntnis von den Abläufen und kann sie daher im Prozess weder darlegen noch beweisen. Hier setzt der BGH an: Wenn der Patient Hinweise für Fehler bei der Krankenhaushygiene nachweist, ist es Aufgabe des Krankenhauses, genau zu erklären und zu belegen, dass die Mitarbeiter bei der Hygiene alles richtig gemacht haben. Für diese Fälle nimmt der Bundesgerichtshof eine sekundäre Darlegungslast der Behandlerseite an. Auf diese Weise erhält der Patient Informationen über die konkrete Durchführung der Hygiene, zu denen er bisher keinen Zugang hatte. Auf der Grundlage dieser Informationen ist es für das Gericht einfacher zu klären, ob Fehler bei der Hygiene vorlagen oder nicht. Bisher war es häufig so, dass völlig ungeklärt blieb, welche Maßnahmen überhaupt durchgeführt wurden und dass die Klagen dann mit der Begründung abgewiesen wurden, ein Behandlungsfehler sei nicht nachgewiesen worden.
Diese Neuerungen führen aber nicht dazu, dass die Geltendmachung von Ansprüchen aus Infektionen nach einer Behandlung im Krankenhaus einfach würden. Auch dann, wenn der Patient Defizite bei der Hygiene nachweisen kann, muss er auch noch nachweisen, dass die bei ihm aufgetretene Infektion Folge dieser Fehler ist. Und das ist nach wie vor eine große Hürde, weil häufig nicht geklärt werden kann, wann und warum ein Patient eine Infektion erworben hat. Es ist immer möglich – worauf der BGH auch in seinem Beschluss hinweist -, dass die Infektion außerhalb des Krankenhauses erworben wurde oder dass sie nicht aufgrund von Hygienedefiziten im Krankenhaus erworben wurde. Faktisch haben derartige Klagen nur Aussicht auf Erfolg, wenn ein grober Behandlungsfehler .nachgewiesen wird. Wenn der Krankenhausträger aber gezwungen ist, zu erläutern, was genau gemacht worden ist, ist es bei gravierenden Verstößen einfacher, diesen groben Behandlungsfehler nachzuweisen. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16.08.2016 führt daher in diesem Rahmen zu einer Stärkung der Position betroffener Patienten.