Was Ärzte für die Behandlung von Privatpatienten berechnen können, richtet sich nach den Regeln der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Für jede Behandlungsmaßnahme kann der Arzt die entsprechende Gebühr abrechnen. Allerdings sind die allermeisten Gebührentatbestände der GOÄ in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts formuliert worden und bilden damit auch die Medizin aus dieser Zeit ab. Dadurch geraten Privatpatienten mehr und mehr in Schwierigkeiten.
Das hat folgenden Grund: Die Medizin entwickelt sich ständig weiter, jedes Jahr kommen neue Behandlungsverfahren hinzu. Da die GOÄ aber die Abrechnung dieser Behandlungen nicht regelt, weil bei Erlass der GOÄ in der immer noch geltenden Fassung an derartige Behandlungen nicht einmal zu denken war, stellt sich für die behandelnden Ärzte die Frage, wie sie diese Behandlungen abrechnen sollen. Für die Kostenträger in diesem Bereich, die Beihilfe und die privaten Krankenversicherer, stellt sich die Frage anders herum: wie sollen sie die Rechnungen für solche Behandlung erstatten? Ärzte sind bei ihrer Abrechnung nicht frei. § 1 der GOÄ regelt, dass sie außer in den Fällen, in denen das Gesetz eine Ausnahme zulässt, nach der GOÄ abrechnen müssen. Abweichende Vereinbarungen sind nur in einem sehr engen Rahmen zulässig, aber auch da müssen die Gebühren der GOÄ angewendet werden (§ 2 GOÄ). Die Praxis behilft sich damit, dass Gebühren, die eigentlich nicht passen, analog abgerechnet werden, weil die neue Behandlung, für die es noch keine Gebühr gibt, einer alten, für die es eine Gebühr gibt, ähnelt. Die Bundesärztekammer hat für eine Vielzahl von modernen Behandlungsmaßnahmen Abrechnungsempfehlungen gegeben, in denen Vorschläge gemacht werden, welche Gebühren aus der GOÄ analog für die noch nicht in der GOÄ erfasste Behandlung abgerechnet werden können. Aber diese Empfehlungen sind nicht verbindlich. Und das führt zu Problemen für immer mehr Privatpatienten. Sie erhalten für aufwendige Behandlungen, zum Beispiel eine Bestrahlung bei einer Krebserkrankung, hohe Rechnungen über mehrere tausend Euro, reichen diese bei der privaten Krankenversicherung ein und erhalten keine oder nur eine geringe Erstattung. Begründung: Die Behandlung sei nicht korrekt – und damit ist immer gmeint: viel zu hoch – abgerechnet worden. Erstattet wird nur das, was die Versicherung anerkennt.
Ein Brennpunkt für derartige Auseinandersetzungen ist derzeit die Frage, wie die IMRT-Bestrahlung abgerechnet werden soll. Das Verfahren ist relativ neu und für die betroffenen Patienten schonender als eine herkömmliche Bestrahlung. Die GOÄ enthält keine Gebühren für diese Behandlung. Die Bundesärztekammer hat empfohlen, die Gebühr für eine intraoperative Bestrahlung mit Elektronen (Nr. 5855 GOÄ) analog anzuwenden. Entsprechend rechnen die Strahlentherapeuten ab und das wird auch von der großen Mehrheit der Kostenträger akzeptiert. Aber was passiert, wenn eine Versicherung sich quer stellt und die Erstattung der Kosten für eine derartige Behandlung verweigert? Begründet wird das zunächst mit der Behauptung, diese Form der Behandlung sei medizinisch überhaupt nicht notwendig gewesen. Darüber hinaus sei die Abrechnung nicht korrekt. Die Gebühr aus Nr. 5855 GOÄ sei nicht analog anzuwenden, weil die beiden Leistungen überhaupt nicht vergleichbar sind. Die Empfehlungen der Bundesärztekammer seien rechtlich nicht bindend und darüber hinaus auch sachlich falsch.
Als Patient kann man sich dann entweder mit seiner Krankenversicherung streiten oder mit dem Arzt. Oder auch mit beiden. Das Problem, das sich dabei stellt ist, dass die Gerichte erhebliche Schwierigkeiten damit haben, festzustellen, ob die Voraussetzungen für die analoge Anwendung einer Gebühr tatsächlich vorliegen. Es gibt private Krankenversicherungen, die diese Rechtsunsicherheit in vielen Fällen ausnutzen und die Erstattung von Kosten verweigern. Wenn man dann klagt, geht man ein erhebliches Kostenrisiko ein. Einmal weil die Prozesskosten relativ hoch sind: Die Gerichte holen im Regelfall ein medizinisches Sachverständigengutachten ein, das mehrere tausend Euro kostet. Zum anderen, weil die Ergebnisse nicht sicher vorhersehbar sind.
Das OLG Braunschweig hat in einem Beschluss vom 05.04.2018 (Az. 11 U 37/17) die Berufung einer privaten Krankenversicherung gegen ein Urteil des Landgerichts zurückgewiesen. Das Landgericht war nach Anhörung eines Sachverständigen zu der Beurteilung gekommen, dass die Gebühr aus Nr. 5855 GOÄ analog für eine IMRT-Bestrahlung abgerechnet werden könne. Dagegen hatte die Versicherung Berufung eingelegt. Wertet man den Beschluss aus, zeigt sich allerdings auch, wie hoch die Hürde für den Patienten liegt, der die Erstattung seiner Behandlungskosten durchsetzen will. Es ist Sache des Patienten zu beweisen, dass die ärztlichen Leistungen sowohl nach dem Arbeitsaufwand des Arztes als auch nach den Kosten vergleichbar sind.
Für die betroffenen Patienten ist das sehr belastend. Sie sind krank und auf eine Behandlung angewiesen. Das setzt aber voraus, dass die Arztrechnungen bezahlt werden. Das wird bei hohen Rechnungen aber irgendwann schwierig, wenn die private Krankenversicherung die Erstattung verweigert. Der Fall des OLG Braunschweig zeigt, dass Patienten in solchen Fällen einen sehr langen Atem haben müssen. Im Beschluss wird nicht mitgeteilt, wann die Rechnung gestellt wurde. Die Klage beim Landgericht wurde im Jahr 2014 erhoben. Das bedeutet, dass die Behandlung wahrscheinlich 2013 erfolgte und abgerechnet wurde. Der Rechtsstreit ist erst im Frühjahr 2018 abgeschlossen worden, also fünf Jahre nachdem die Rechnung gestellt worden ist.
Derartige Auseinandersetzungen – zum Teil mit hohen Streitwerten – sind gerade für schwer kranke Patienten nicht zumutbar. Dabei wäre dieses Problem durch eine eindeutige Regelung neuer Behandlungen in der GOÄ lösbar. Daran wird auch seit mehr als zehn Jahren gearbeitet, ohne dass ein Ergebnis absehbar wäre. Warum ist das der Fall? Der Bund als Verordnungsgeber muss in der neuen GOÄ widerstreitende Interessen unter einen Hut bringen. Die Ärzte haben ein berechtigtes Interesse daran, dass sie für ihre Leistungen angemessen bezahlt werden und dass auch neue Behandlungsverfahren in angemessener Weise vergütet werden. Die Kostenträger, zu denen auch der Bund gehört, der als Dienstherr seiner Beamten einen Teil von deren Behandlungskosten zu erstatten hat, möchten den Kostenanstieg verhindern oder zumindest bremsen. Dieser Widerspruch konnte bisher nicht aufgelöst werden.
Ausbaden müssen dies die betroffenen Patienten.