Die Pflicht zur Aufklärung von gesetzlich versicherten Patienten ist vom Gesetzgeber in § 27b SGB V erweitert worden.
Gesetzlich krankenversicherte Patienten müssen seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung im Juli 2015 vor planbaren Eingriffen, bei denen die Gefahr einer Indikationsausweitung nicht auszuschließen ist, darüber aufgeklärt werden, dass sie das Recht haben, eine Zweitmeinung zu der Frage, ob die Operation in ihrem konkreten Fall sinnvoll ist, einzuholen. Allerdings kann diese Regelung im Moment noch nicht angewandt werden. Der Gesetzgeber hat dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Aufgabe zugewiesen, eine Richtlinie zu erlassen, in der die Operationen aufgezählt sind, bei denen die Patienten über ihr Recht auf eine Zweitmeinung aufgeklärt werden müssen. Diese Richtlinie liegt bisher nicht vor. Ohne diese Richtlinie ist der Anwendungsbereich für die in § 27b SGB V erweiterte Aufklärungspflicht nicht definiert.
Das Ziel des Gesetzgebers ist klar: Die Statistiken zeigen, dass viele Operationen in Deutschland deutlich häufiger durchgeführt werden als in anderen Ländern, und das häufig, ohne dass damit eine messbare Verbesserung der Lebensqualität der Patienten einhergeht. Die Kosten von Operationen, über deren Nutzen für den Patienten man streiten kann, möchte der Gesetzgeber der gesetzlichen Krankenversicherung ersparen. Dabei kommt die Überlegung hinzu, dass man damit auch alle Folgekosten, insbesondere wenn es zu Komplikationen kommt, einsparen kann.
Der Weg, den der Gesetzgeber gewählt hat um dieses Ziel zu erreichen, ist der, dass der Patient erfahren soll, dass die Operation, die ihm vorgeschlagen wurde, möglicherweise nicht zwingend notwendig ist und dass es vielleicht auch Behandlungsmöglichkeiten ohne Operation und damit auch ohne Komplikationsrisiko gibt, damit er auch die Möglichkeit hat, sich aus eigenem Antrieb gegen die Operation zu entscheiden. Eigentlich muss der Patient über Behandlungsalternativen schon jetzt von dem Arzt, der ihn operiert, aufgeklärt werden (§ 630e Abs. 1 BGB). Die Praxis zeigt aber, dass ein Arzt, der entweder als niedergelassener Arzt selbst operiert oder als Angestellter eines Krankenhauses auch seinem Arbeitgeber verpflichtet ist, hier möglicherweise in einem Interessenkonflikt steht. Das sieht auch der Gesetzgeber so: Die Zweitmeinung muss sich der Patient daher bei einem anderen Arzt einholen, der mit dem niedergelassenen Operateur bzw. mit dem Krankenhaus, in dem operiert werden soll, nichts zu tun hat.
Um sicherzustellen, dass der Patient davon erfährt, dass er überhaupt die Möglichkeit hat, eine zweite Meinung einzuholen, hat der Gesetzgeber zugleich die Pflicht zur Aufklärung erweitert: Gesetzlich krankenversicherte Patienten müssen vor den Operationen, die in der noch ausstehenden Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses aufgeführt sein werden, ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass sie das Recht haben, vor der Operation eine Zweitmeinung einzuholen.
Für die beteiligten Juristen ist die Frage interessant, was passiert, wenn keine Aufklärung über die Möglichkeit, eine Zweitmeinung einzuholen, erfolgt. Ausdrücklich ist diese Frage nicht geregelt. Man kann hier durchaus der Meinung sein, dass die Verletzung dieser Pflicht nicht ohne weiteres haftungsrechtliche Konsequenzen hat, weil sie dann in das Bürgerliche Gesetzbuch und nicht in das Sozialgesetzbuch V gehören würde, das die Rechtsverhältnisse zwischen Versicherten und der gesetzlichen Krankenversicherung bzw. zwischen den Leistungserbringern und der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht aber die Frage der Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs des Patienten regelt.
Dem lässt sich allerdings entgegenhalten, dass die Wortwahl des Gesetzgebers durchaus nahe legt, dass eine Verletzung dieser besonderen Aufklärungspflicht auch haftungsrechtliche Konsequenzen hat. Der in § 27b SGB V verwendete Begriff Aufklärung als Voraussetzung für die wirksame Einwilligung des Patienten in einen Heileingriff ist identisch mit der Wortwahl des Gesetzgebers in den §§ 630 a ff. BGB. Dass bei Verletzung der Aufklärungspflicht aus § 27b SGB V auch zivil- und ggf. auch strafrechtliche Konsequenzen drohen, weil die Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten fraglich ist, unterstützt auch die Absicht des Gesetzgebers, sicherzustellen, dass die betroffenen Patienten vom Operateur bzw. vom Krankenhaus, in dem operiert werden soll, die Information erhalten, dass sie eine Zweitmeinung einholen können. Dass diese Auffassung richtig ist, wird auch in den Gesetzgebungsmaterialien angedeutet. Dort heißt es, dass auch die Aufklärung über das Recht zur Einholung einer Zweitmeinung dazu dient, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten durchzusetzen. Und das ist genau der Grund dafür, dass eine Verletzung der Aufklärungspflicht gem. § 630e BGB zu Schadenersatz verpflichtet.
Letztlich werden die Gerichte darüber entscheiden müssen, welche haftungsrechtlichen Konsequenzen die Verletzung der Aufklärungspflicht aus § 27b SGB V hat. Spannend ist dabei auch die Frage, ob die Erweiterung der Aufklärungspflicht für gesetzlich krankenversicherte Patienten Auswirkungen auf die Aufklärung von Privatpatienten hat, auf die § 27b SGB V keine unmittelbaren Auswirkungen hat.